Karl C. Mayer, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse
Positives Denken und andere neue Propheten
Was für gesunde Menschen mit kleineren Problemen vielleicht manchmal eine kleine Hilfe sein kann, kann depressive Menschen oft noch viel tiefer in die Depression treiben. Mit calvinistischer Philosophie wird suggeriert, man müsse nur wollen, dann könne man alles erreichen. Emotionale Intelligenz sei erlernbar. Dale Carnegie, Joseph Murphy, Norman Vincent Peale, Erhard F. Freitag sind seit Jahrzehnten nicht aus den Bestsellerlisten zu vertreiben. "Sorge
dich nicht lebe". " Sorgen sind nichts weiter als eine Geisel der Menschheit,
sie können ersatzlos gestrichen werden" "Wenn uns das Schicksal eine Zitrone
gibt, machen wir Zitronenlimonade daraus". "Jeder ist für seine Erfolge und
Misserfolge verantwortlich". "Jeder
Mensch kann ein positives Bild von sich entwerfen, und er wird erfahren, dass er
diesem Bild immer ähnlicher wird". Scheinbar
ganz einfache Botschaften versprechen Heil und Flucht aus der düsteren Realität.
" Du kannst es! Auch du hast Erfolg! Du bist gut! Du bist besser als dein
Konkurrent! Das
Phänomen "self-fulfilling prophecy” kann durchaus kurzfristige Erfolge zeigen.
Suggestion und Autosuggestion sind auch therapeutisch nutzbar, allerdings setzt
dies eine reale Grundlage voraus. Insbesondere wenn die Diskrepanz zwischen
momentaner Realität und Ziel überbrückbar ist, kann Suggestion helfen. Einzelne
Menschen können dabei mit solchen Methoden manchmal unnötige Hemmungen
überwinden, wieder mehr Zukunftsorientierung finden und durch den Glauben
an die eigenen Fähigkeiten Erfolge haben. Allerdings handelt es sich um
kurzfristige und alltägliche Effekte, die sich verlieren, besonders wenn man sie
zu häufig in Anspruch nimmt. Daher berichten viele ehemalige Anhänger von einer
anfänglichen Euphorie, die später der Ernüchterung oder sogar einem
deprimierenden Absturz wich. Fehlt diese Grundlage in den realen Möglichkeiten,
kann der Absturz zur Katastrophe werden. Der Rat: "Sprenge Deine Grenzen" ist
für die meisten Menschen nicht realistisch, "Erkenne deine Grenzen und nutze den
Raum dazwischen" wäre das realistische Pendant. Die Abkürzung von ganz unten nach ganz oben wird versprochen und ist ja auch verführerisch. Die Aussichten scheinen so gut wie beim Lottospiel. Häufig ist bei den Propheten selbst ein Aufstieg ja gelungen. Nicht zuletzt mit dem Geld der gläubigen Kundschaft. Einfach wiederholbar ist dies leider nicht. Manche mögen von der Begeisterung, die vermittelt wird angesteckt, ein kurzes Stimmungshoch erfahren. Sei es, dass sie ein Glücksgefühl beim Lesen der Vielzahl der Bücher haben, endlich eine Patentrezept gefunden zu haben, sei es in der gut inszenierten Begeisterung einer Massenveranstaltung oder eines Gruppenwochenendes. Krankmachend wirkt es, wenn Versagen, Unglück und Leid als vom Menschen selbstverschuldet gesehen werden. Dann hat man als erfolgloser oder leidender Mensch die Methode falsch angewandt, man war nicht eifrig genug, nicht konsequent genug usw. - jedenfalls war man selbst an allem schuld. Gerade bei depressiven Menschen droht hier ein noch tieferes Abstürzen in die Depression. Wir können unseren Charakter nur bedingt und mühsam ein bisschen ändern. Wir sind nicht alle gleich geboren, nicht nur Intelligenz auch unsere emotionale Ausstattung ist zum Teil angeboren. Auch das was wir an emotionalen Störungen durch falsche Erziehung und Traumen erworben haben, können wir nicht einfach abschütteln. Unser Hirn ist keine Computerfestplatte auf der man fehlerhafte Programme einfach löschen könnte und durch neue ersetzen könnte. Man kann es auch nicht formatieren und ein neues Programm darüber spielen.
Angst, Ärger, Wut, Depression, Schuldgefühle sind immer unangenehm. Sie sind aber nicht immer zerstörerisch oder schädlich. Im konstruktiven Sinn haben sie die Funktion als wachsames Regulativ, unsere Ziele mit unseren Handlungen in Einklang zu bringen. So gesehen ist es gelegentlich angemessen und nützlich, "negative Gefühle zu haben. Wir sind für unser Leben verantwortlich, aber wir sind auch Zufällen und unserem Schicksal ausgeliefert. Seelisch gesund sind wir, wenn wir äußeren Einflüssen mit dem was wir an intellektuellen und emotionalen Begabungen mitbekommen haben unter unseren Bedingungen optimal begegnen können. Also eben mit und nach unseren Möglichkeiten. Wenn dies nicht der Fall ist brauchen wir manchmal Hilfe. Diese sollte geduldig mit unseren Schwächen sein, und unsere momentanen Möglichkeiten als Maßstab und Ausgangspunkt nehmen. Diese Hilfe sollte sich immer zunächst die Zeit nehmen zu unterscheiden, wo wir Schwächen oder Schicksale hinnehmen müssen und wo wir mit Erfolgaussicht uns um eine Änderung bemühen können. Immer vor dem Hintergrund unserer Möglichkeiten. Wenn wir dem Versprechen alles erreichen zu können glauben, ist das Risiko noch tiefer in eine Depression zu fallen umso größer. Scheitern wegen mangelnder Möglichkeiten, Unfälle, Krankheiten usw. führen sonst zu einem Versagensgefühl und zu Schuldgefühlen. Haftbar manchen können Sie die neuen Psychogurus in der Regel nicht. Weder für ihre Depression, noch für andere Folgen. Positives Denkens kann besonders bei unkritischen Menschen zu einem Realitätsverlust führen. Dies gilt insbesondere, wenn man die Ziele so hoch ansetzt, dass sie unerreichbar sind. Das Positive Denken berücksichtigt weder die unterschiedlichen Fähigkeiten der Menschen, noch ihre unterschiedliche Persönlichkeitsstruktur noch die Wechselwirkung zwischen der individuellen Psyche und deren sozialer Umgebung. Außerdem gibt es für das Positive Denken angeblich keine unlösbaren Probleme, nichts was auszuhalten oder als unabänderlich anzunehmen wäre. Damit wird ein Teil der Kompetenz, mit Problemen umzugehen, gerade nicht entwickelt. Es ist wahrscheinlich, dass positives Denken oft den Anstoß zu einer tatsächlich positiven Veränderung gibt. In welchem Verhältnis dies zum Gegenteil (noch mehr Schuldgefühle und Minderwertigkeitsgefühle, Suizidgefährdung..) steht hat noch niemand untersucht. Je schwerer die Störung umso mehr ist zur Vorsicht zu raten. Zitat: "Einen ganzen Tag lang habe ich nur eins gehört: Glück ist machbar. Nun bin ich wieder allein. Und depressiv. Will nicht immer gut drauf sein. Greife nicht zu, wo Geld ohne Ende, Erfolg bei den Frauen, ewige Jugend, Schlankheit, Charme und Feuer in Reichweite lägen. Ja, sie haben Recht, die Gurus: Der Einzige, der mir und meinem Glück im Weg steht, bin ich selbst. Ich selbst aber bin ein ziemlicher Brocken. Das wiederum hat etwas Tröstliches."Burkhard Strassmann Wie eine Ameise zum Adler wird Motivationstrainer führen einen zu Glück und Erfolg - man muss es nur wollen http://www.zeit.de/archiv/1999/42/199942.c-motivation_.xml |
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